Kurzvorstellung



Japanische-gedichte.de präsentiert traditionelle japanische Poesie in deutscher Sprache. Es wird besonderen Wert auf die strikte Einhaltung der jahrhundertealten Form gelegt. Indem die traditionellen Formen mit neueren Themen gemischt werden, erleben diese klassischen Gedichte eine Renaissance und setzen damit auch in der heutigen schnelllebigen Zeit ein Zeichen tiefgründiger lyrischer Reflexion.

Tanka: Das 1300 Jahre alte Gedicht

Auf Japanische-gedichte.de werden schwerpunktmäßig japanische Tanka-Gedichte veröffentlicht. Das Tanka ist eine Gedichtform, die seit Beginn der Nara-Zeit (710 – 794) und damit seit etwas mehr als 1300 Jahren existiert. Mit den beiden Gedichtanthologien Nihonshoki (720) und Man’yōshū (759) begann der Siegeszug des Tankas, der bis heute ungebrochen anhält. Die Anthologien Kokin-wakashū (905) und Shinkokin-wakashū (1205) gelten bis zum heutigen Tag als Richtmaß für die Gedichtform des Tankas. In der japanischen Aristokratie wurden Tankas in nahezu religiöser Verehrung verfasst und rezitiert. Es hatte sich eine veritable Kunstform daraus entwickelt, wobei nicht nur der Inhalt, sondern auch die Ästhetik zelebriert wurden. Die Schriftzeichen wurden mit besonderer Tinte auf hochwertigem Papier gemalt, wobei des Öfteren eine edle Illustration beigefügt wurde.

Die Gedichtform des Tankas

Trotz seines über 1300 Jahre andauernden Alters gibt es eine Konstante beim Tanka, die sich in all den Jahrhunderten nie geändert hat. Stets bestand das Tanka aus 31 Moren bzw. 31 Silben. Das Gedicht wird in fünf Zeilen niedergeschrieben, wobei folgende Silbenzählung je Zeile strikt einzuhalten ist: 5 – 7 – 5 – 7 – 7. Es hat sich eingebürgert, dass das Tanka in zwei Teilen verfasst wird. Der erste Teil besteht aus den ersten drei Zeilen (5 – 7 – 5) und wird Oberstollen genannt. Nach einer Leerzeile schließt sich der zweite Teil mit der vierten und fünften Zeile an (7 – 7), der sogenannte Unterstollen.

Oberstollen:
Zeile 1: 5 Silben
Zeile 2: 7 Silben
Zeile 3: 5 Silben

Unterstollen:
Zeile 4: 7 Silben
Zeile 5: 7 Silben

Die Leerzeile zwischen dem Ober- und dem Unterstollen muss nicht nur rein ästhetischer Art sein. Manche Dichter arbeiten zudem mit einer inhaltlichen Zäsur. So ist es möglich, dass der erste Teil eine bestimmte Richtung vorgibt, die im zweiten Teil vollständig verkehrt wird; oder der Obertollen skizziert ein bestimmtes Bild, das im Unterstollen in einer offenen Frage mündet. Es werden manchmal unterschiedliche Ideen in beiden Stollen kreiert, so dass es dem Leser obliegt, diese Art der künstlerischen Konfrontation aufzulösen.
Wie bei allen japanischen Gedichten so gilt es auch beim Tanka, mit wenigen wohl platzierten Worten eine extensive Ausdrucksdichte zu erreichen. Dies ist nur möglich, wenn dem Leser viel Spielraum für das eigene Vorstellungsempfinden eingeräumt wird. Das Verfassen eines Tankas ist die Kunst, Unnützes wegzulassen und sich auf das wirklich Wichtige zu beschränken.

Die heutigen Tanka-Dichter

Einer der bedeutendsten japanischen Lyriker der Nachkriegszeit war Yoshimi Kondō (1913 – 2006). Mit seinen Gedichtwerken „Sōshunka“, „Hokori fuku machi“ und „Kurohyō“ hat er sich ein lyrisches Denkmal gesetzt. Alle seine Gedichte wurden in Tanka-Form verfasst. Zudem war er Präsident der „Mirai Tankakai“, dem japanischen Verband der Tanka-Lyriker. Sein Einfluss auf die heutige Tanka-Dichtung gilt als maßgebend.

Des Weiteren ist die japanische kaiserliche Familie zu nennen, die jedes japanische Neujahrsfest mit einem neuen selbst verfassten Tanka beginnt. Zudem ist die emeritierte Kaiserin Michiko Shōda eine begeisterte Tanka-Dichterin. Ihr Gedichtband „Nur eine kleine Maulbeere. Aber sie wog schwer“ (Herder-Verlag, 2017) enthält fünfzig Tanka-Gedichte, in denen sie nicht nur Politisches, sondern auch Persönliches lyrisch aufbereitet hat.

Aus dem Tanka geboren: Der Haiku

Lässt man den Unterstollen des Tankas weg, so bleibt die wohl bekannteste japanische Gedichtform übrig: der Haiku. Dieser lyrische Dreizeiler weist das streng einzuhaltende 5 – 7 – 5 Silbenschema auf. Diese Gedichtart hat mittlerweile weltweit unzählige Leser in ihren Bann gezogen. Im 17. Jahrhundert trat der Haiku erstmals in der japanischen Lyrik in Erscheinung und erhielt im 19. Jahrhundert seinen heutigen Namen. Der Haiku hält den lyrischen Moment der Erkenntnis für die Ewigkeit fest. Erst in der Vorstellung des Lesers offenbart sich die wahre Bedeutung des Haikus. Der Haiku muss sich nicht reimen, wobei Wiederholungen einzelner Wörter öfters vorkommen. Traditionelle Haikus haben oftmals einen Naturbezug, wobei moderne Haikus themenunabhängig sind.

© 2023 Stefan Bachmann https://www.japanische-gedichte.de